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Nachhaltig leben – mental health Edition

über Erwartungen, Dogmatismus und Selbstschutz

Nachhaltig leben. Was bedeutet das? Für Dich? Für mich? Für uns alle. Und was hat mentale Gesundheit damit zu tun? Wo endet der Umweltschutzgedanke und wo beginnt mein eigenes Wohl? Und in wie fern haben die Erwartungen und Handlungen des eigenen Umfelds Einfluss darauf? Und was sind meine Gedanken dazu?
All das und noch mehr kläre und erkläre ich im folgenden Artikel.

Nachhaltige mentale Gesundheit

Was ich damit meine? Dafür schauen wir uns Mal die Definition des Begriffes an:

Nachhaltigkeit ist ein Handlungsprinzip zur Ressourcennutzung, bei dem eine dauerhafte Bedüfrnisbefriedigung durch die Bewahrung der natürlichen Regenerationsfähigkeit der beteiligten Systeme (vor allem Lebewesen und Ökosysteme) gewährleistet werden soll.
Auf unsere Psyche angewendet bedeutet das, dass wir dann nachhaltig gesund sind, wenn wir nicht über unsere Grenzen hinaus gehen, ähnlich wie beim Overshoot Day.

Die Sache ist die: Wenn wir mehr Ressourcen unseres Planeten verbrauchen, als wir eigentlich zur Verfügung haben, bemerken wir als Mensch nicht sofort einen Unterschied (was natürlich nicht bedeutet, dass der Schaden nicht trotzdem entsteht!), weswegen wir auch eher gewillt sind, das Problem zu ignorieren. Aber auch der Eindruck, der Mensch als Einzelne*r könnte nichts bewirken und das Ausbleiben eines “betroffen seins” lässt uns weniger aktiv werden.

Bei unserer Psyche ist das anders. Wenn wir anhaltend oder regelmäßig über unsere Grenzen gehen, spüren wir das. Ob durch Schlafstörungen, Unruhe, Erschöpfung, Tinnitus, Verspannungen, Infektanfälligkeit oder andere Stresssymptome, bis hin zum Burnout.

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Es ist also wichtig, dass wir in den Grenzen des uns Möglichen bleiben und unsere Kapazitäten kennen und diese, wenn möglich, nicht, oder nur selten oder im Notfall, zu überschreiten. Dass diese bei jedem Menschen anders aussehen, möchte ich hier nochmal besonders betonen. Denn nicht jede*r ist Super(wo)man und schafft es, neben Familie und Haushalt noch den Job und drei Hobbies, sowie das regelmäßige Pflegen von Freundschaften auf die Reihe zu bekommen.
Für manche von uns ist schon der Alltag eine Aufgabe für sich. Gesundes Essen, regelmäßige Bewegung, gute Schlafgewohnheiten und vor allem ausreichend Selbstfürsorge sind für manche Menschen eine echte Herausforderung. Und ich finde es so schade, dass in unserer Leistungsgesellschaft kein Raum dafür da ist (oder ich es zumindest nicht sehen kann), sich für eben dieses gesunde Leben einzusetzen, stark zu machen und es auch leben zu können. Ohne hinten runter zu fallen, weil der gesellschaftliche Druck und die finanziellen Anforderungen zu hoch sind. Denn wir sind nicht alle für eine 40+ Stundenwoche gemacht, ohne uns dabei selbst aus den Augen zu verlieren. Oder das, worum es im Leben eigentlich geht (FunFact – Arbeit ist es nicht!).

Und was hat das jetzt mit dem nachhaltigen Leben zu tun?

Wie eben schon erwähnt, gibt es viele Bereiche, um die sich ausreichend gekümmert werden will. Dinge wie Hobbies, Leidenschaften, Ehrenamt oder eben auch der Einsatz für mehr Umweltschutz und ein nachhaltiger Lebensstil kommen da noch on top. Dass es nicht immer leicht ist, das alles unter einen Hut zu bekommen, wissen wir vermutlich alle.

Außerdem kann es ganz schön belastend sein, sich in der heutigen Zeit mit den weltweiten Nachrichten und Fakten auseinanderzusetzen.
In den letzten Jahren sind die Studien und Schlagzeilen zu Themen wie “Klimaangst”, “Weltschmerz”, “Zukunftsangst” und mit diesen Dingen zusammenhängenden Entstehungen von Depressionen nur so aus dem Boden geschossen. Gerade die junge Generation (< 25) ist davon betroffen, wobei es auch nicht verwunderlich ist, wenn es auch alle anderen Altersgruppen trifft. Denn wenn mensch sich erst mal richtig mit der gesellschaftlichen, politischen, ethischen und vor allem klimatechnischen Lage der Welt auseinandersetzt, kann einem schon mal Angst und Bange werden. Da nicht zu verzweifeln oder nur den Kopf in den Sand stecken zu wollen, erfordert durchaus ein besonderes Maß an Stärke und Willenskraft.

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Wie im Flugzeug

Nicht unbedingt die beste Metapher auf einem Nachhaltigkeitsblog, aber sehr passend. Wer einmal geflogen ist (oder die Szenen vielleicht auch nur aus einem Film kennt), der kann sich bestimmt an die Sicherheitsanweisungen der Flugbegleiter*innen erinnern. “…In diesem Fall ziehen Sie eine der Masken ganz zu sich heran und drücken Sie die Öffnung fest auf Mund und Nase. Danach helfen Sie mitreisenden Kindern…“

Was uns der*die nette Mitarbeiter*in damit sagen will: Sorge zuerst um Dein eigenes Wohl und dann um das Wohl Deiner Mitreisenden, bzw. Deines Umfeldes. Denn – wenn es Dir selbst nicht gut geht, wie willst Du dann anderen helfen können?!

Wohlbefinden zuerst

Und das selbe gilt für die Umwelt. Oder Dich und die Umwelt. Wenn es Dir nicht gut geht, ist keine zusätzliche Kraft da, sie noch für Projekte im Außen zu investieren. Wenn es mir nicht gut geht, dann ist mir das auch manchmal zu viel. Dann schaffe ich es nicht, Dies und Jenes selbst zu machen. Oder die Kraft für einen Einkauf im Unverpacktladen aufzubringen. Dann gibt es auch mal verpacktes Junkfood wie Fertigspätzle oder abgepackte Maultaschen. Dann wird vielleicht mal eher das Auto genommen oder eben auch mal Pizza bestellt. So what?

Deswegen esse ich immer noch kein Fleisch und meine festen Gewohnheiten und Routinen, wie Second Hand zu kaufen, primär biologische Lebensmittel zu beziehen und nachhaltige Alternativen im Alltag zu nutzen, bleiben ebenfalls bestehen.
Und was bringt es mir oder der Umwelt, wenn ich bis ins letzte in jedem Moment perfekt nachhaltig agiere, dabei aber so viel Kraft verliere, dass es mich am Ende mehr belastet als mir Freude bereitet und ich es letztendlich wieder bleiben lasse? Und wieso mache ich mir überhaupt diesen Druck?

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Wie unser Umfeld uns beeinflusst

Was ich in den letzten Jahren (leider) vermehrt feststellen musste ist, dass es für uns Menschen offensichtlich leichter ist, metaphorisch gesehen, den Rasen der Nachbarn zu beurteilen, als vor der eigenen Tür zu kehren. Und damit kommt auch ein Teil des Drucks von außen.
Beispiel: Als Vegetarier*in oder Veganer*in ist mensch regelmäßig damit konfrontiert, die eigenen Essgewohnheiten und die Lebensweise zu erklären, ja fast schon zu rechtfertigen. Statt interessierte Fragen zu stellen, wird Menschen, die auf tierische Produkte verzichten, häufig vorgeworfen, sich für etwas Besseres zu halten. Es muss sich oft für die Entscheidung erklärt und verteidigt werden. Und wenn mensch dann noch nachhaltig leben möchte, wird es fast noch schlimmer. Es wird förmlich die Nadel im Heuhaufen gesucht, was das Gegenüber denn immer noch nicht richtig macht oder wo der Hase im Pfeffer liegt (Die Aussagen sind nicht nur welche, die ich selbst gehört habe, sondern auch Antworten einer Instagram-Umfrage an die Radieschen-Community, der es offensichtlich ähnlich geht),:
“Aber Du fährst doch auch noch Auto!”
“Das darfst Du dann aber nicht kaufen, das ist ja verpackt.”
“Aber für Dein Soja wird der Regenwald abgeholzt.”
“Früher bist Du aber auch geflogen.”
“Aber dieses Supplementieren ist ja auch nicht gesund.”
“Und Du meinst, Du kannst da jetzt alleine einen Unterschied machen?”

Aber warum machen wir Menschen das?
Müssen wir andere kritisieren oder können wir nicht einfach respektieren und gut finden, dass es Menschen gibt, die sich einsetzen und bemühen, etwas zu verändern? Ist es die eigene Unzulänglichkeit? Oder die Angst, weniger gut als andere zu sein? Das Bedürfnis, uns selbst zu profilieren indem wir das Handeln des Gegenübers herabsetzen und in Kritik stellen? Oder schlicht die Unfähigkeit, anzuerkennen, dass ein Problem (in diesem Fall Massentierhaltung und Klimakrise) besteht und mensch selbst nichts oder zu wenig dafür tut und deswegen die Bemühungen der anderen schmälern will?

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Wie wir damit umgehen können

Was immer es sein mag, eins ist gewiss: Es bringt uns weder voran noch näher zueinander. Und kann vor allem bei engagierten Menschen zu einer zusätzlichen Belastung, aber auch Frust und Ärger führen. Deswegen hier mein Appell an uns alle: Lasst uns uns gegenseitig stärken! Lasst uns unsere Erwartungen an unsere Mitmenschen ablegen und einfach mal annehmen, was ist. Uns Mut und Anerkennung zusprechen für die Dinge, die wir tun. Uns gegenseitig unterstützen (auch wenn wir vielleicht nicht immer der gleichen Meinung sind). Lasst uns mehr Fragen stellen zu Themen, bei denen sich unsere Mitmenschen besser auskennen als wir. Lasst uns lernen, einander zu verstehen. Oder zumindest die Denk- und Lebensweise der Anderen zu respektieren. Denn unterm Strich hängen wir da alle mit drin und sollten versuchen, die Sache gemeinsam anzugehen, statt uns auch noch gegenseitig mit den Ellenbogen zu boxen.

In den letzten Monaten und Jahren habe ich außerdem einen Satz in Videos und auf Social Media immer wieder gehört und mir das sehr zu Herzen genommen und hoffe, dass er auch andere erreicht: “Who am I to judge?” zu deutsch: “Wer bin ich, dass ich urteilen darf?” Gemeint ist dabei die Bewertung der Menschen in unserem Umfeld oder deren Verhalten. Wer oder was gibt mir das Recht, ein Urteil darüber zu fällen, was andere tun oder nicht tun?
Denn wenn wir uns bewusst machen, wie am Anfang bereits erwähnt, dass wir die Lebenswelt unserer Mitmenschen nicht kennen und vor allem nicht darin stecken, können wir nicht sagen und vor allem nicht wissen, womit diese Menschen gerade zu kämpfen haben (und womit ich sie mit meinen Aussagen vielleicht noch zusätzlich belaste).

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Und ich kann nachhaltig leben und meinen Katzen trotzdem (wie es auch artgerecht ist) Fleisch zu essen geben. Ich kann vegan leben und dennoch den 10 Jahre alten Ledergürtel tragen, bis er auseinander fällt, wenn das für mich okay ist. Oder ich verkaufe, spende und verschenke ihn und besorge mir eine Alternative. Und nur, weil ich nachhaltig lebe, bedeutet das nicht, dass ich auf Urlaub (der mit ÖPNV und anderen Methoden auch nachhaltig gestaltet werden kann) verzichten muss, um meinen ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich zu halten (während andere täglich Fleisch essen, regelmäßig fliegen und sich keine Gedanken über ihr Konsumverhalten machen). (weitere Quelle zu Umweltbilanz und Fleischkonsum)

Statt über das Verhalten unserer Mitmenschen können wir uns wirklich Gedanken machen, mit welcher Einstellung wir durch’s Leben gehen und was wir bewegen wollen.

Noch eine Sache zu Äußerungen aus dem Umfeld. Manchmal höre ich auch Sätze wie “Leben und leben lassen”. Damit will oft ein Deckel auf die Unterhaltung gemacht und das Gespräch beendet werden. Für mich ist das aber weder eine gute Aussage und schon gar kein Argument – denn (Nutz)Tiere dürfen auch nicht leben. Denk mal darüber nach.

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Warum ich darauf aufmerksam mache und was ich denke

Ja, ich könnte nach all dem auch einfach die Flinte ins Korn werfen und sagen, es hat ja ohnehin keinen Wert, was ich oder andere versuchen, mit unserer Lebensweise zu erreichen und zu verändern. Und noch dazu ist der Umgang damit (und mit allem, was damit zusammenhängt) auf mentaler Ebene auch manchmal belastend. Oder aber ich bleibe bei mir selbst und sage das, was ich auch immer bei meinen Vorträgen und Workshops sage: Wenn wir alle versuchen, ein klein wenig zu verändern, im Rahmen unserer Möglichkeiten und in dem Maße, wie es in unser Leben integrierbar ist, gehen wir gemeinsam in die richtige Richtung.

Und mit versuchen meine ich: WIRKLICH VERSUCHEN. Nicht bequem sein und zu sagen “Ja dann mache ich ja schon genug.”, sondern sich den eigenen Alltag anschauen und überlegen “Was kann ich noch aktiv daran verändern? Welche Gewohnheiten kann ich nachhaltiger gestalten, ohne, dass ich sofort mein ganzes Leben umkrempeln muss und trotzdem einen Schritt weiter gehen kann?”
Vielleicht an den Rand der Komfortzone (und Bequemlichkeit) und einen Schritt weiter gehen, bis sie sich etwas ausdehnt. Und dann noch einen. Und noch einen. Stück für Stück.
Jede*r kann die Waage daraus finden, was möglich und für einen selbst okay ist. Und jede Handlung zählt.

Ich möchte Menschen bestärken und unterstützen, dass es okay ist, auch unperfekt nachhaltig zu handeln. Und dass zu jedem Zeitpunkt das eigene Wohlbefinden und vor allem die psychische Gesundheit Priorität haben sollte.

Und wer jetzt nicht weiß, wo und wie er/sie/they anfangen soll oder Infos und Ideen sucht, kann ja mal bei einem dieser Artikel vorbei schauen:

Wer dennoch ein paar passende (Gegen)Argumente für künftige Gespräche sucht

Zum Widerlegen des Arguments umd Regenwaldsoja: Klick hier.

Zum Kontern der Aussage zu Supplementen: Klick hier.

Zwei passende Zitate zum Thema als Einzelne*r einen Unterschied machen:

“Ich habe gelernt, dass man nie zu klein ist, einen Unterschied zu machen.”

– Greta Thunberg

(die 2018 allein vor dem Parlament für’s Klima gestreikt hat und wenig später Millionen Menschen weltweit zur “Fridays For Future”-Bewegung gebracht hat)

“Es ist ja nur ein Strohhalm”, sagten 8 Milliarden Menschen. Wenn wir diesen Satz umdrehen und zum Beispiel sagen “Es ist ja nur eine feste Seife”, dann sind Tonnen an Müll und Chemikalien durch den Verzicht konventioneller Produkte eingespart.

Und zu Verhalten in der Vergangenheit: Was nützt es, den Blick nach hinten zu richten? Wenn ich mir nur Vorwürfe darüber mache, dass ich 25 Jahre lang Fleisch gegessen habe, zieht mich das nur runter. Kann ich nicht nach vorne schauen und mich darauf fokussieren, was ich mit meinem heutigen Verhalten alles verändern kann? Wie viele Menschen ich durch Vorleben vielleicht zu ein wenig mehr Nachhaltigkeit inspirieren kann?

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