Burnout wie fühlt sich das an?

Burnout – wie fühlt sich das an? Teil 4

Dies ist der vierte Artikel aus einer ganzen Reihe zum Thema Burnout. Am Ende des Beitrags findest Du Links zu allen Artikeln der Reihe in chronologischer Reihenfolge. Wenn Du alle lesen willst, empfehle ich Dir, nach der Reihe durchzugehen, um inhaltlich und thematisch an den vorhergegangenen anknüpfen zu können.

Wenn es Dir nicht gut tut, solche Inhalte zu konsumieren, rate ich Dir, die Themenartikel nicht oder nicht allein zu lesen, da sie sehr persönlich und emotional geschrieben sind.
Am Ende der Beiträge findest Du Hilfestellen, an die Du Dich wenden kannst, wenn es Dir nicht gut geht.

Wie ist das, Depressionen zu haben?

Als ich meinen Burnout hatte war ich 28 Jahre alt. Klingt heftig. War es auch. Es ist unglaublich schwer in Worte zu fassen, wie sich das anfühlt. Weil Du es erst gar nicht kommen siehst. Und plötzlich ist es da. Und Dir wird klar, das hat sich schon eine ganze Weile angekündigt. Ich würde sagen, bei mir begann es etwa ein Jahr bevor ich langfristig krank wurde.
Benjamin Maack schreibt in seinem Buch* (Titel: Wenn das noch geht kann es nicht so schlimm sein):

„Depressionen sind geschickt. Ist man gesund, kann man sich nicht mehr daran erinnern, wie es war, krank zu sein. Und ist man krank, kann man sich nicht vorstellen, je wieder gesund zu werden.“

Jeder kennt das. Das Leben ist mal stressig. Es ist mal unzufrieden stellend. Es ist mal anstrengend. Es ist mal frustrierend. Dann gehen wir zum Sport, in den Urlaub, treffen uns mit Freunden, hören Musik, lesen ein gutes Buch oder gehen tanzen, um unser Stresslevel abzubauen und einen Ausgleich für unser Gemüt zu finden. Um den Kopf wieder frei zu bekommen, damit die Seele wieder unbeschwerter sein kann.

Oder wir haben mal Phasen, in denen uns Sorgen belasten, ein Streit, eine Trennung, ein Konflikt bei der Arbeit.
Viele Menschen neigen dazu, in solchen Situationen zu sagen, sie haben eine „Depri-Phase“ oder bezeichnen ihre Stimmung als „depri“. Seit ich selbst so schwer betroffen war, finde ich den Umgang mit solchen Äußerungen und deren Gebrauch schwierig. Wird zu leichtfertig mit diesen Begrifflichkeiten umgegangen? Haben Menschen, die solche Formulierungen benutzen, auch ein ernsthaftes Verständnis dafür, was es bedeutet und wie es sich anfühlt, richtige Depressionen zu haben, ernsthaft „depri“ zu sein.

Und wie fühlt sich das jetzt wirklich an?

Ich unterteile die Zustände und Empfindungen hier in die einzelnen Phasen, um besser verstehen zu können, wie so eine Krankheit verlaufen kann.
Doch eins lässt sich wohl vorneweg sagen. Eine Depression ist ein großes, dunkles, schwarzes Loch. Und ich fürchte, wer nicht selbst schon einmal drin gesessen ist, kann nur sehr sehr sehr schwer nachempfinden, wie es Betroffenen wirklich ergeht. Umso wichtiger finde ich es, es so offen wie möglich zu zeigen und zu versuchen, es zu beschreiben. Um zumindest ein Bild zu vermitteln, wie es sein kann.

Burnout wie fühlt sich das an viele kleine dinge

Der Alltag

Während der Arbeit ist es ein Gefühl des Durchhaltens. Zu Beginn fühlt es sich eher wie ein kleines Tief an. Ich war unmotiviert, müde, träge. Dachte aber, dass sich das nach ein paar Tagen, etwas mehr Schlaf oder mal wieder regelmäßigem und gesundem Essen wieder legen wird. Denn auch das sind Dinge, die sich, zumindest bei mir, mit eingeschlichen haben. Ich habe mich sehr ruhelos und gleichzeitig sehr erschöpft gefühlt. Bin aber natürlich trotzdem jeden Tag zur Arbeit, habe mich mit Freund*innen getroffen, bin Verpflichtungen nachgegangen. Je länger der Zustand anhielt, umso schlimmer wurden die Symptome.

Da ich offensichtlich nicht auf meinen Kopf hören wollte, schickte mein Körper mir noch mehr Signale. Ich hatte ein angeschlagenes Immunsystem und war immer wieder krank. Mein ohnehin seit einigen Jahren bestehender Tinnitus wurde immer lauter und dauerhafter. Ich hatte einen steinharten, stechenden und schmerzenden Nacken und irgendwann kamen dann Alpträume dazu. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte ich merken sollen, dass ich ganz ganz dringend etwas ändern sollte. Morgens um halb 5 schweißgebadet, weinend, panisch oder verwirrt aufzuwachen, den Vormittag auf dem Sofa zu verbringen, nochmals für zwei Stunden einzuschlafen um dann zu duschen, kurz etwas zu essen und dann zur Arbeit zu fahren, kann nicht gesund sein. Dennoch habe ich diesen Zustand noch einige Monate ertragen und weiter gemacht.

Wichtig ist an diesem Punkt zu erwähnen, dass das oft die Zeiten sind, in denen das Umfeld überhaupt gar nichts vom Leidensdruck der Betroffenen merkt oder erfährt. Unsere Gesellschaft ist so auf „Durchhalten“ und „Aushalten“ getrimmt, dass wir es nicht für notwendig erachten, uns Unterstützung zu holen, bevor wir „den Karren an die Wand fahren“.
Ich war zu dieser Zeit gut gelaunt bei der Arbeit, im Urlaub, mit Freunden unterwegs. Nur, dass Zuhause die Reserven immer weniger wurden, die Dinge immer weniger Freude bereiteten. Und stetig der Gedanke: Das wird sich ja schon wieder legen… irgendwann.
Doch irgendwann kommt dann der Punkt, da macht es keinen Spaß mehr. Dann ist es einfach nur noch eine Qual, morgens aufzustehen, weil plötzlich nicht nur eine Sache keinen Spaß mehr macht, sondern gar nichts mehr. Weil alles nur noch mühsam ist.
Bis zum Aus. Dann war ich krank geschrieben und erst mal Zuhause.

Die Ruhephase

Mein Kopf war mit dieser Umstellung grandios überfordert. Ich wusste überhaupt nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Ich war es so gewohnt, abzuliefern und präsent sein zu müssen, dass ich dieses Korsett gar nicht ablegen konnte. Ich nahm mir ständig Dinge vor, verabredete mich, hielt es nicht aus, auch nur eine Stunde nichts vor zu haben. Ich musste mich irgendwie beschäftigen. Warum, wusste ich selbst nicht. Die zuvor entstandene Anspannung hielt an, etwa drei Wochen lang.
Ich kann mich noch an ein Gespräch erinnern, dass ich in dieser Zeit geführt habe. Es ging darum, wie es nun weiter ginge und ob ich eine Perspektive, bzw. eine neue Stelle in Ausschau hätte. Ich antwortete, dass ich gerne erst mal eine Pause machen würde, runter kommen, mich ausruhen, keine Gedanken machen und das Erlebte verdauen möchte. Ich wusste nur nicht, wie ich mich entspannen sollte.
Und plötzlich brach alles zusammen. Mein Körper holte sich das, was er schon seit einem Jahr gesucht hatte: Ruhe. Nur in einer so exzessiven Form, dass nichts mehr ging.

Die Krise

Ich steige aus dem Bett, um zur Toilette zu gehen. Auf dem Weg zurück überlege ich, ob ich zurück ins Bett gehen oder mich einfach auf das Sofa legen soll. Egal, wie ich mich entscheide, es spielt erst mal keine Rolle, wie spät es ist, was ich tue oder nicht, ob ich etwas esse oder dusche. Denn meine Kraft reicht ohnehin nicht dafür aus.
Ich habe Tage, Wochen, sogar Monate verbracht, in denen ich teilweise 10 Stunden nur auf dem Sofa lag, eine Folge Serie nach der anderen geschaut habe, ohne auch nur irgendetwas bewusst mitzubekommen. Es rieselte so nebenher. Ich konnte mich sowieso nicht darauf konzentrieren. Ich war nebenher am Handy, hab an die Wand gestarrt, bin eingeschlafen, wieder aufgewacht. Es wurde Mittag, es wurde Nachmittag, es wurde dunkel. Und ich war immer noch in der selben Position im Schlafanzug, hatte irgendwas gegessen, was den wenigsten Aufwand machte, wenn überhaupt. An Haushalt war nicht zu denken. Aus dem Haus zu gehen eine unmögliche Aufgabe. Den Briefkasten leeren. Vielleicht.
Auch auf Textnachrichten zu antworten oder Anrufe anzunehmen war für mich in dieser Zeit eine mühsame Aufgabe. Manchmal habe ich Wochen gebraucht, um zu antworten. (Zum Thema Verhalten von Betroffenen und nicht-Betroffenen folgt in einem späteren Beitrag noch mehr.)
Wenn mein Freund für eine Nacht oder zwei geschäftlich weg musste, war es am schlimmsten. Dann hatte ich gar keinen Grund, mich noch zu irgendetwas zu motivieren, weil ich ja am Abend genauso allein sein würde wie am Morgen. War ja egal, wie ich oder die Wohnung aussah.
Während ich wie ein Zombie auf dem Sofa vegetierte, drehte mein Kopf durch. Ich konnte ihn nicht ausschalten und gleichzeitig meine Gedanke nicht sortieren. Es ist ein absolut unerträglicher Zustand.

Burnout wie fühlt sich das an viele kleine dinge

Die Behandlung

Ja, in eine Klinik zu gehen, erfordert Überwindung. Es ist die Konfrontation damit, es selbst nicht mehr zu schaffen. Auf Hilfe angewiesen zu sein. Doch als ich erst mal dort war, fiel viel Last von mir ab. Mich nicht um Tagesstruktur, Essen (und dessen Zubereitung) und Beschäftigungen kümmern zu müssen, machte in so einer schweren Zeit alles etwas einfacher.
Abgelenkt zu sein, Therapien zu haben, hilft. Mich auf eine andere Art mit all dem, was im Kopf herum schwirrte, zu beschäftigen, war heilsam. Auch wenn es manchmal weh tut.
Therapie ist anstrengend. Und zwar so richtig.
In der Klinik war sehr früh Aufstehen angesagt, Morgenspaziergang um 7 Uhr. Im Januar. Anschließend hatte ich meist den ganzen Tag Therapieangebote. Drei Mal die Woche Gruppentherapie, Kunsttherapie, Musiktherapie, Bewegungstherapie, Soziales Kompetenz Training, Muskelentspannungsübungen, Einzelgespräche, Einzeltherapien, freie Angebote, die mir wichtig waren, wahrzunehmen, wie Yoga, Kreativwerkstatt oder anderes. Und dann noch Gemeinschaftsabende. Dazwischen Mahlzeiten und dann war der Tag meist von 7 – 19 Uhr gefüllt. Minuziös.
Da fällt mensch schon mal um 21 Uhr ins Bett. Oder schläft fast auf dem Gang ein, weil sich abends erst noch bei den Pfleger*innen gemeldet werden muss, und das geht erst ab 21.30h Uhr.
Und alles, was in den Therapien stattfindet, will ja auch erst mal verarbeitet werden. Da bleibt wirklich nicht viel Zeit, noch groß Sozialkontakte außerhalb zu pflegen. Ich war die ersten Wochen aber auch froh, einfach mal weg zu kommen und Zeit, Raum und Unterstützung von fachlicher Ebene für mich zu haben.

Die Genesungsphase

Wie heißt es, nach dem Spiel ist vor dem Spiel?
So ähnlich ist es auch nach einem Aufenthalt in der psychosomatischen Klinik. Als ich dachte, ich hätte was erreicht und es würde weiter gehen, ging die Arbeit erst richtig los. Rückblickend gesehen dachte ich zu dem Zeitpunkt wirklich, weit gekommen zu sein.
Nun ja, für meine Verhältnisse und verglichen mit dem Zustand sechs Monate zuvor, war ich das auch. Verglichen mit dem, was ich danach mit zwei Jahren Therapie noch erreicht habe, war ich natürlich noch lange nicht so weit.
Allerdings bekam ich eine lange Liste an hilfreichen Dingen aus der Klinik mit auf den Weg. Und damit meine ich keine wirkliche Liste. Sondern die Strategien, Methoden, Dinge, die ich gelernt hatte, anzuwenden und zu nutzen, wenn ich in dieser oder jener Stimmung bin. Das klappt natürlich nicht immer. Aber auf die ganzen Hilfsmittel, Unterlagen, eigenen Notizen und Erfahrungen aus der Klinik zurück greifen zu können, hat mir sehr bei meiner Genesung geholfen.

In eine Gruppentherapie zu gehen erfordert weiteres Engagement. Es ist eine Verpflichtung, eine Bindung, die eingegangen wird. Jede Woche zu einer festen Zeit für knapp zwei Stunden mit der selben Gruppe an Menschen zu erscheinen. Für eine lange Zeit.
Einmal darauf eingelassen und den Termin im Alltag integriert, ist es ein festes, heilsames Ritual. Auch wenn ich mehr als einmal weinend nach Hause gekommen bin. Denn auch hier gilt: Heilung ist Schmerz. Sich seine eigenen Wunden anzuschauen, tut weh. Sie zu akzeptieren und zu lernen, damit zu leben, auch.
Und auch hier gibt es immer wieder Höhen und Tiefen. Doch es wird besser. Nach einem Jahr habe ich in den Gesprächen bemerkt, wie ich mich im Vergleich zum Anfang verändert habe, was ich gelernt und geändert habe. An meinem Denken, an meinem Verhalten, an meiner Haltung, an meinen Sichtweisen.

Und irgendwann kam der Punkt, an dem ich die Krücken nicht mehr gebraucht habe. An dem der Verband abkam. An dem ein Pflaster alles war, was noch nötig war, um meine Narben zu verdecken.
Es ist ein langer, sehr langer Weg. Und auch wenn er gegangen ist, ist er noch nicht zu Ende. Denn eine psychische Erkrankung zu haben bedeutet oft, sich Jahre lang, oder sogar sein Leben lang, damit auseinander zu setzen. Aber auch, sich mit sich zu beschäftigen. Sich zu verändern, daran zu wachsen. Und immer wieder Neues dazuzulernen.

Burnout wie fühlt sich das an viele kleine dinge

Wenn Du Hilfe suchst und Dich mit Deinen Problemen an jemanden wenden möchtest, kommst Du hier zu Seite der Deutschen Depressionshilfe mit vielen Anlaufstellen und Telefonnummern.
Sich Hilfe zu suchen und danach zu Fragen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Mut!

Hier kommst Du zu den anderen Artikeln aus dem Themenbereich:

Burnout – und dann? Teil 1
Burnout – Was ist das eigentlich? Teil 2
Burnout – Meine Geschichte Teil 3
Burnout – Was mache ich dann? Teil 5
Burnout – Wie gehe ich damit um? Teil 6
Burnout – Wie geht es mir heute? Teil 7